Ernte 2012: Gott erhalt’s

Seit sich der Zeitgeist wieder mehr auf die Rhythmen der Natur besinnt, das Bewusstsein für die Qualität unserer Lebensmittel zunehmend steigt und das Leben auf dem Land wieder zum Wunschtraum vieler avanciert, steigt auch das Ansehen der Landwirtschaft. Das Wissen der Bauern rund um die Natur ist wieder gefragt. Das schwierige Jahr 2012 macht sie nun aber gerade in der heutigen Zeit ein weiteres Mal zu großen Vorbildern.

Ein Jahr, wie es so mancher Bauer in den vergangenen Jahrzehnten nicht erlebt hat, liegt hinter unserer Landwirtschaft. Vor allem im Wein- und Waldviertel hat das gefürchtete Maya-Jahr 2012 unserer Landwirtschaft einen harten Schlag versetzt. Während sich viele von uns freuten, im Winter nicht durch meterhohe Schneewächten zu fahren, setzten die trockenen Wintermonate der Landwirtschaft weiter zu.

Die Hoffnung auf Besserung im Frühling zerstreute sich im April und Mai, als der Spätfrost und schwerer Hagel den zahlreichen Anbaugebieten im Wein- und Waldviertel den Rest gaben. An eine solche Anhäufung von Wetterextremen kann sich kaum jemand erinnern. „Besonders trockene Jahre, Frost und Hagel gibt es immer wieder, doch eine solche Häufung aller drei Faktoren in einem Jahr, hat kaum jemand erlebt”, äußerte sich der Bezirksweinbauverbandsobmann Gerhard Walek im Mai schockiert gegenüber einer Lokalzeitung. „Am stärksten betroffen war der Weinbau”, resümmiert Direktor DI Ferdinand Lembacher, Leiter der Abteilung Pflanzenbau in der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer. Im Weinbaugebiet Poysdorf waren schwere Hagelschäden zu verzeichnen, aber am schwersten betroffen waren laut Hagelversicherung die Weinkulturen im Pulkautal. Insgesamt wurde mit 6.000 Hektar rund ein Viertel der Weinfläche Niederösterreichs massiv frostgeschädigt.

Die Österreichische Hagelversicherung sprach von einem Schaden in Höhe von 20 Millionen Euro in Niederösterreich, der allein in der Nacht vom 17. auf den 18. Mai durch bis zu sechs Minusgrade und den schweren Hagel entstanden war. Doch nicht nur der Weinbau litt in dieser vernichtenden Nacht, auch Ackerbau, Obstbau und die Christbaumkulturen im Waldviertel nahmen beträchtlichen Schaden. „Die jungen Triebe sind durch den Spätfrost im Mai völlig abgefroren, es wird bis zu zwei Jahre dauern, bis sich die Pflanzen erholt haben”, bedauert Lembacher.

In den betroffenen Gebieten wurden die gesamten Kürbisbestände und auch Teile der Sonnenblumen- und Sojakulturen – insgesamt 5.000 ha Ackerfläche – arg in Mitleidenschaft gezogen. Das Weinviertel als Kornkammer Österreichs war von den Wetterkapriolen in diesem Jahr ebenfalls stark betroffen. Der Vorstandsvorsitzende der Agrarmarkt Austria, Günter Griesmayr, beklagte im Rahmen der traditionellen Ernte-Pressekonferenz die schlechteste Ernte seit über 40 Jahren. „Im Lagerhaus Hollabrunn wurde heuer beispielsweise um die Hälfte weniger abgeliefert als noch im Vorjahr”, bestätigt auch Direktor Lembacher. „Raps fiel dem Spätfrost zum Opfer, Zuckerrüben mussten komplett neu beackert werden und auch Äpfel, Birnen, Erdbeeren und Marillen waren von Trockenheit und Spätfrost verheerend geschädigt. Am besten hat es noch der Mais verkraftet, doch im Raum Gänserndorf und Mistelbach wurde heuer dennoch um die Hälfte weniger geerntet, als noch im vergangenen Jahr!”

Ing. Wolfgang Hackl betreibt in Atzelsdorf bei Gaweinstal seinen Marillenhof und mußte ebenfalls große Einbußen hinnehmen. „Dieses Jahr wird uns stark in Erinnerung bleiben!” Die anhaltende Dürre, lange Kälteperioden und der Spätfrost haben auch seine Marillenbäume schwer geschädigt. „In Summe gab es ja heuer Temperaturschwankungen von 60 bis 70 Grad, das setzt natürlich allen Kulturen zu, aber den Obstbäumen und vor allem der Marille ganz besonders.” In der Nacht auf den 18. Mai sind dann auch seine jungen Marillen erfroren, was ein Minus von 80 Prozent gegenüber dem vorigen Jahr in der traurigen Bilanz 2012 bedeutet. „Wir sind als noch relativ junger Betrieb seit meiner Betriebsübernahme im Aufbau befindlich. Wenn man aber schon jahrelang eingeführt ist und sich seine fixen Abnehmer aufgebaut hat, ist das schon eine echte Katastrophe!”, so der dynamische Landwirt, der in seinem Unternehmen auf mehrere Standbeine setzt.

Doch seine besondere Sorge gilt den möglichen Nachwehen für das nächste Jahr. „Wenn es auch heuer keine g’scheite Winterfeuchte gibt, dann sieht es auch für das kommende Jahr nicht gut aus, denn der Boden ist unter der obersten Schicht einfach staubtrocken. Kommt ein weiteres schlechtes Jahr auf uns zu, dann ist das wirklich schlimm fürs Weinviertel”, teilt er seine Befürchtungen mit uns.

In seinem Betrieb setzt Hackl sicherheitshalber nicht alles auf eine Karte und betreibt zu etwa je einem Drittel Ackerbau, Obstbau mit einer Marillenmanufaktur, und hat sich zudem auf landwirtschaftliche Dienstleistungen spezialisiert. „Mir ist es sehr wichtig, meine Abnehmer auch in die Abläufe der Natur mit einzubeziehen. Wenn wir keine Marillen haben, dann eben, weil die Natur nicht mitgespielt hat. Das verstehen die Leute mittlerweile auch und wir ernten da weniger Ärger als Mitgefühl. Es ist mir sehr wichtig, dass das auch bis zum Konsumenten dringt.”

Voller Vertrauen und Zuversicht
Was wir, quasi als Zuseher, als dramatische, existenzbedrohende Tatsachen erleben, tragen unsere Bauern mit einem enttäuschten Achselzucken. In vielen Gesprächen stellen wir überrascht fest, dass sich die wenigsten LandwirtInnen mit Klagen und Jammern aufhalten, sondern vielmehr alle möglichen und nötigen Vorkehrungen für das nächste Jahr treffen. Schließlich lässt sich der wirtschaftliche Schaden, der entstanden ist, nicht mehr ändern. „Ein guter Landwirt wirtschaftet über einen Zeitraum von fünf Jahren”, sagt Direktor DI Ferdinand Lembacher von der Landwirtschaftskammer. „Er kauft sich nicht gleich nach einem einzigen guten Erntejahr einen neuen Traktor, denn er weiß, dass das kommende Jahr vielleicht weniger erfolgreich verlaufen könnte.”

Auch Ing. Wolfgang Hackl mag sein mattes Betriebsergebnis nicht überbewerten. „Auf die letzten Jahre gesehen ergibt sich immer noch ein sehr guter Durchschnitt. Wir hatten in den letzten drei Jahren wirklich gute Ergebnisse, 2011 war ein besonders tolles Jahr. Da ist ein schlechtes Jahr zwischendurch schon zu verkraften.” Eine Einstellung, von der wir uns gerade in Zeiten wie diesen durchaus auch für die Wirtschaft – die ja Jahr für Jahr noch bessere Umsätze erwartet und ein Wachstum von einigen Prozentpunkten bereits als Niederlage wertet – ein Scheibchen abschneiden könnten.

Wer sich nicht vom bunten Ganzjahressortiment in Supermarktketten verlocken lässt, sondern lieber saisonal regionale Landwirtschaftsprodukte kauft, hat schon am Angebot erkannt, dass es ein knappes Jahr geworden ist und hat unter anderem Erdbeeren, Marillen und Zwetschken vermisst. Daraus kann aber auch beim Endverbraucher ein gesundes Bewusstsein für die Geschenke unserer Natur entstehen und wir können erkennen, dass nicht alles selbstverständlich ist. Darin liegt für uns auch die Chance im nächsten Jahr, wenn die Ernte hoffentlich wieder besser ausfällt, die Früchte der Landwirtschaft mit noch mehr Dankbarkeit zu genießen!

Und wie sieht es mit Existenzängsten in der Landwirtschaft aus? Marillenbauer Hackl lacht: „Also Angst kenn ich sowieso keine! Und darüber hinaus habe ich auch gar keine Zeit dafür. Wir haben unseren Obstbäumen alle mögliche Pflege angedeihen lassen, um beste Voraussetzungen für das nächste Jahr zu schaffen. Und vertrauen darauf, dass es wieder ein gutes Jahr wird!” In der Zwischenzeit bringt der innovative Landwirt – dessen Marillenmarmelade weit über die Grenzen des Weinviertels geschätzt wird – KollegInnen zusammen, um ihre landwirtschaftlichen Produkte in hübsche Geschenksboxen zu verpacken und versendet damit ein Stückchen kostbares Weinviertel in die weite Welt …

ld | Foto: (c) Sandra Cunningham, Fotolia.com | Artikel aus der Wald4tlerin Winter 2012